Wrage ist wirklich in der Stadt Hamburg oder besser in den
Stadtteilen, die hier besonders hervorgehoben werden, zu
Hause, und es fließt sicherlich die innere Verbundenheit, die
man früher unbefangener Heimatliche genannt hätte, mit in
sein Werk ein, ohne daß eine kritische Verklärung entstehen
könnte.
Stadt, das ist
ein vieldeutiges
Gebilde, mit
zahlreichen
Aspekten, die
hier nicht
ausgebreitet
werden
können. Die
Stadteile
Eimsbüttel und
St. Pauli und
eigentlich auch
Altona haben in
den hier ein-
gefangenen Motiven eine gut hundertjährige, vielleicht auch
150jährige Geschichte und bescherten ihren Einwohnern
einen Raum mit Licht und Schatten.
Viele Zugewanderte, z.B. Landarbeiter aus Mecklenburg,
wenn sie nicht ausgewandert waren, machten aus der schon
großen Handelsstadt Hamburg eine Großstadt. Die Indu-
strialisierung, die Gründerjahre blähten die Stadt auf, und
der Wohnungs-
bau jener Jahre
überschwemmte
die Weiden des
Dorfes Eims-
büttel und die
offenen Gebiete
zwischen Altona
und Hamburg
mit Miets-
häusern, die
teilweise mit
Stuckverzier-
ungen zur
Straßenseite hin
verschönt
wurden, durch deren Torbögen man aber in die Hinterhöfe
gelangte, in denen Wohnraum in Schlichtbauweise erstellt
worden war. Aber auch das bessere Mietshaus mit verschönter
Straßenfassade hatte eine kahle Rückseite, die im Normalfall
nie wieder gestrichen wurde, nur wenn sie gegen Westen
stand und durchfeuchtete wurde sie geteert.
Die Wohnwelt dieser Stadtteile war gekennzeichnet durch
Enge mit vielen Reibungsstellen zwischen den Menschen, es
fehlte der Freiraum, es fehlte das Sonnenlicht, und es blühte
die Armut, so daß der Krämer an der Ecke anschreiben mußte
und die Kneipe, die es an jeder Straßenkreuzung gab, den
Männern einen fragwürdigen Trost gab. Diese Welt der hier
angesprochenen Hamburger Stadtteile hat keine so
berühmten Chronisten gefunden, wie das Armenviertel in
Berlin, wo Künstler wie Zille oder Kollwitz lebten, Namen, die
hier nicht erläutert werden müssen.
Aber in den dicht bebauten und über-
bevölkerten Stadtteilen gedieh auch die
Mitmenschlichkeit, die Nachbarschaft,
und es gab auch die Bemühung, in die
grauen Hinterhöfe Farbe zu bringen,
wenn Blumen in noch nicht gepflasterten
Fleckchen Erde gezogen und Balkonkästen
liebevoll betreut wurden. Um die Jahr-
hundertwende wirkte sich auch die Idee
des Leipziger Arztes Daniel Schreber aus,
und die Ländereien vor der bebauten
Stadt wurden parzelliert und zum
Kleingarten gemacht, von Menschen, die
in der Enge der Mietskasernen wohnen
mußten, aber in den heute voll bebauten
Stadtteilen Stellingen, Langenfelde, Bahrenfeld einen
Ausgleich auf den gepachteten Grünflächen fanden.
Er blieb also in
einem Stadtteile,
in dessen Straßen
verhältnismäßig
weniger durch den
Krieg zerstört
worden war als
etwa in Rothen-
burgsort, aber es
war das Stadtbild
doch bestimmt
durch das Neben-
einander von
Trümmerflächen
und abgeschnittenen Häuserzeilen, und im Laufe von dreißig Jahren
erlebte Wrage es mit, wie ebenerdige provisorische Läden gebaut,
breite Verkehrsadern durch die Stadt gelegt wurden und ein neuer
Wohnungsbau zwar keine Hinterhöfe mehr entstehen ließ, aber
durch das rationelle Bauen die glatte Fassade so bevorzugte, daß
seelenlose Wohnkästen und Silos entstanden.
Erst die Architekten diese Jahrzehnts brechen die glatte Fassade
wieder auf und gliedern sie, aber was dreißig Jahre Heimat
gebracht hat, macht nachdenklich.
Hans Wrage ist durch diese sich wandelnde Stadt immer wieder mit
seiner Staffelei gezogen und hat Zeichnungen die Konturen der
verwinkelten Straßen und Häuser festgehalten. Wenige aus der
großen Fülle der Stadtkonturen sind ausgestellt. Wrage hat mit
Wasserfarbe und Öl immer vor Ort gemalt, eine Sache, die selten
geworden ist, denn die meisten Künstler malen heute aus dem Kopf
heraus oder nach Fotos, während Wrage die unmittelbare Anregung
aus dem Motiv für sein Schaffen braucht. Er gehört damit in die
Reihe der Hamburger Malertradition, die von Lichtwark, dem
berühmten
Direktor der
Hamburger
Kunsthalle,
abgeregt wurde,
für die große
Hamburger Maler
leuchtende
Beispiele geben,
zu denen auch
Wrages Lehrer
Professor
Friedrich
Schaper gehört
und zu denen
auch Otto Brügmann gezählt werden muß, dessen Ausstellung vor
einem Jahr hier zu sehen war, von dem wir aber natürlich keine
Stadtlandschaft hätten bekommen können.
Wrage malt draußen in der fast noch unberührten Natur, aber
auffällig ist doch bei der Wahl seiner Motive die starke Neigung,
Gegenstände, die der Mensch geschaffen hat, zu Eckpunkten seiner
Bilder zu machen und damit Spannung in die Komposition zu
bringen. Dabei ist das Bild der Stadt kein Abklatsch, sondern die
gestalterischen und malerischen Fähigkeiten Wrage erbringen Bilder
mit klarer Konzeption, mit guter räumlicher Gliederung, mit
interessanten Farbwerten, die über die Dokumentation der
Stadtansicht hinaus innere Werte einschließen.
Wrage verdeutlicht in seinem Werk, daß das
Verhältnis des Menschen zur Enge der Häuser
nicht nur Abwehr bewirkt, sondern auch
Geborgenheit ergibt, so daß zum Beispiel
Tragödien entstehen können, wenn bei der
Stadtsanierung alte Häuser abgerissen und alte,
langjährige Bewohner entwurzelt werden und
dahinwelken. Wir erfahren aber auch als
erfreuliche Wende, daß besonders jungen
Menschen die abgenutzten Häuser der Stadt zu
schätzen wissen und durch ihre positive
Einstellung der Stadt Leben und Wärme
verleihen.
Hans Wrage hat diese Möglichkeiten in seinem
malerischen Werk nie aus den Augen verloren.
Er hat aus dem bescheidenen Spiel des Lichts auf den grauen und
verwitterten Hauswänden den Anstoß für das Malen gefunden und
die abgelegenen Winkel der Stadtteile Altona, Eimsbüttel und St.
Pauli liebevoll ins Licht gesetzt.